Urban-Bikes aus dem 3D-Drucker
Vom 3D-Drucker auf die Straße

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Technik, die begeistert. Technik, die fasziniert: 3D-Druck. Jetzt könen mit dieser Verfahrensweise sogar schon Fahrräder entstehen. Und fahren. Glaubst du nicht? Dann solltest du dieses Interview mit Ramon Thomas von Urwahn Bikes lesen.

Urwahn Bikes
Foto: Urwahn Bikes

Ein Fahrrad aus dem 3D-Drucker – was sich im ersten Moment nach einer Science-Fiction-gleichen Vision aus der Zukunft anhört, ist heutzutage längst möglich. Ein Beispiel für ein Unternehmen, das die 3D-Druck-Technologie für die Fahrradproduktion nutzt, ist die deutsche Marke Urwahn Bikes.

Seit 2013 stellt die in Magdeburg ansässige Firma Fahrräder her. In dieser Zeit hat man zahlreiche Meilensteine im Bereich des 3D-Drucks bei der Fahrradherstellung gemeistert – und mehrere Preise wie beispielsweise den Red Dot Award oder den European Product Design Award gewonnen. Inzwischen ist man fest auf dem Markt etabliert und führt unter anderem Rennräder, Gravel-Bikes und auch Urban-Bikes im Sortiment. Im Interview unterhielten wir uns mit Mitbegründer Ramon Thomas darüber, was es mit Urban-Bikes aus dem 3D-Drucker auf sich hat, wie die Technologie funktioniert und welche Vorteile sie bietet.

Wie entstand die Idee, Fahrräder mithilfe von 3D-Druckverfahren zu konstruieren?

Ramon Thomas: Als leidenschaftlicher Produktentwickler und Ingenieur für Sportgeräte entwickelte mein Mitgründer Sebastian Meinecke mit wachsendem Umweltbewusstsein bereits 2011 ein besonderes Interesse für puristische Fahrräder. Unter dem Namen "Sme Bicycles" fertigte er unzählige, höchst individuelle Auftragsfahrräder an. Mit zunehmender Erfahrung und der Spezialisierung auf die Produktentwicklung stellte sich Sebastian fortan der Aufgabe, ein neuartiges Bike für den Einsatz im urbanen Bereich zu entwickeln, das zahlreiche Problemstellungen durch das Zusammenspiel von Form, Funktion, Komfort und Nachhaltigkeit ganzheitlich in einer bis nie dagewesenen Komplexität lösen sollte.

Mit dieser Vision stieß Sebastian schnell an die Grenzen des Machbaren, weshalb konventionelle Strukturen gebrochen werden mussten. Als einer der ersten Nutzer des damals neu entstandenen FabLabs (Fabrication Laboratoy) im Bereich des kunststoffbasierten 3D-Drucks wurde die anfängliche Vision nun greifbarer. Fragen wie, "Welche Freiheiten und Innovations-Potenziale bringt ein ganzheitlich oder teilweise im 3D-Druck gefertigter Rahmen mit sich?", beschäftigen Sebastian fortan und mit zunehmender Tiefe.

Urwahn Bikes
Urwahn Bikes

Welche Vorteile hat die 3D-Druck-Technologie bei der Konstruktion von Urban Bikes im Vergleich zu herkömmlichen Konstruktionsweisen?

Die Vorteile des 3D-Drucks liegen in den neuen Möglichkeiten in der Gestaltung und Dimensionierung hochkomplexer Bauteile, allen voran das organische Rahmendesign. Solch dünnwandige und hochkomplexe Bauteile wie unsere Rahmenteile zu fertigen, war durch den 3D-Druck überhaupt erst möglich. Ohne dieses Fertigungsverfahren gäbe es keine Softride-Geometrie mit dämpfenden Fahreigenschaften und keine nahtlos-organische Formsprache. Außerdem können Verkabelung und Sattelklemme dezent im Rahmen verschwinden. Wir konnten sofort mit der Fertigung beginnen, da auf teure Fertigungswerkzeuge verzichtet werden konnte. Auf diese Weise können schnelle Änderungen der Bauteilgeometrien von Batch zu Batch umgesetzt werden, was auch Einzel- und Maßanfertigungen möglich macht.

Durch das Verfahren des 3D-Drucks war eine Anpassung von unserem ersten Modell Stadtfuchs Urban Bike hin zum Platzhirsch E-Bike wesentlich einfacher und schneller umsetzbar. In zukünftigen Entwicklungen profitieren wir stark von schnelleren Entwicklungszyklen. Auch aus ökologischen Gesichtspunkten ist das Verfahren ressourcenschonend im Vergleich zu konventionellen Verfahren, weil fast kein Ausschuss entsteht.

Gibt es auch Nachteile? Was sind derzeit noch die Herausforderungen bei der Fahrradkonstruktion per 3D-Drucker?

Ein Nachteil des 3D-Drucks sind die Kosten, die dieser mit sich bringt. Günstig ist das Verfahren in der Tat nicht. Die Rahmenkosten eines Urwahn-Rahmens übersteigen die eines in Fernost gefertigten Standardrahmens um ein Vielfaches. Sie sind der Hauptkostentreiber bei all unseren Bikes. Der 3D-Druck hat sich in den letzten fünf Jahren aber massiv weiterentwickelt. Wir haben den ersten Rahmen 2015 gedruckt und die Maschinen sind deutlich effizienter geworden. Wir gehen davon aus, dass die Produktionskosten in Zukunft sinken, wobei wir das Niveau einer globalen Rahmenproduktion nicht erreichen werden – jedenfalls nicht in absehbarer Zeit.

Urwahn Bikes
Urwahn Bikes

Wie läuft die Konstruktion bzw. die Arbeit mit dem 3D-Druck konkret ab?

Zu Beginn der Produktentwicklung werden fundamentale Produktanforderungen und -eigenschaften nach allgemein gültigen Richtlinien definiert und Handlungsabläufe in einem Gebrauchsszenario durchlaufen. Danach gilt es, die Produktidee visuell zu gestalten und vielseitige Lösungsansätze für Teilprobleme zu generieren. Unter Berücksichtigung konstruktiv-technologischer Gestaltungsprinzipien werden im Anschluss belastungs-, ergonomie- und werkstoffgerecht geometrische Parameter definiert und in Anwendung rechnerunterstützter CAx-Systeme im Design- und Konstruktionsprozess durchlaufen.

Mit Blick auf die Funktionstauglichkeit der Baustruktur werden in Anwendung des 3D-Drucks (Selective Laser Melting) unterschiedliche MVPs gefertigt [MVPs sind sogenannte Minimum Viable Products, also Testmodelle im frühen Stadium; Anm. d. Red.], um die Rahmenfestigkeit und -steifigkeit im Labor und im Feld testen zu können. Aufgrund der hohen Detailstärke, Maßgenauigkeit und Oberflächenqualität wurde der 3D-Druck als geeignetes Fertigungsverfahren des Urwahn-Rahmens ermittelt und in die Serienproduktion überführt, sowie zum Schutzrecht angemeldet.

Inwieweit ist ein 3D-gedrucktes Urban Bike anders als ein klassisches? Welche Unterschiede gibt es?

Die Besonderheit ist bei uns natürlich der Rahmen, der aus 3D-gedruckten Verbindungselementen besteht. Jene Teile, die die Rohre miteinander verbinden. So entsteht auch der "Urwahn"-typische Knick, denn im Gegensatz zu herkömmlichen Fahrradrahmen läuft das Rohr vom Sattel nicht nach unten zum Tretlager, sondern biegt vorher zur Radaufhängung hin ab.

Urwahn Bikes
Urwahn Bikes

Ein großes Thema ist bei euch auch Nachhaltigkeit. Inwieweit hilft die 3D-Druck-Technologie, Fahrräder nachhaltiger zu produzieren?

In Kombination mit dem metallischen 3D-Druck ist es uns gelungen, die Produktion der Rahmen regional und bedarfsgerecht auszurichten. Nach den Prinzipien des Lean Manufacturings konnten die Produktionsprozesse so weit verschlankt werden, dass jeder Auftrag "on-demand" und "just-in-time" ohne Einbußen an Qualität und Individualisierung abgewickelt werden kann. Eine Überproduktion ist hierbei Fehlanzeige und auch die Lager sind bei Urwahn ungewöhnlich zurückhaltend bestellt.

Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter und legen die Standorte der einzelnen Produktionsketten offen, in denen der Stahlrahmen sowie die resultierenden Urwahn Bikes entstehen:

  • Hannover/Düsseldorf = Rohrstellung und – Zuschnitt
  • Dresden = 3D-Druck, Rahmenbau und Beschichtung
  • Waltrop = Zertifizierung
  • Magdeburg = Elektronische Bestückung, Endmontage und Logistik
  • Deutschland/Europa/Fernost = Produktion Anbauteile

Inwieweit könnte der 3D-Druck die Konstruktion von Fahrrädern in den kommenden Jahren revolutionieren?

Die Vorteile des 3D-Drucks machen es möglich die wirtschaftliche Produktion von (E-)Bikes in individuellen Formen und Größen zu skalieren. Überdies können die Produktionsprozesse und die Nacharbeit reduziert werden. Die Flexibilität des 3D-Drucks ist hoch und bietet mehr Freiheit in der Komplexität von Produkten bezüglich Integration, Funktion und Design. Die kommende Revolution für 3D-gedruckte Bikes ist also nicht überraschend und wir sind mittendrin statt nur dabei.

Ramon, vielen Dank für das interessante Gespräch.

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Erscheinungsdatum 19.04.2023