Die Typologie der Fahrradfahrer
Wer sind wir?

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Vom entspannten E-Bike bis zum aerodynamischen Rennrad: So vielfältig die Fahrräder, die durch die Städte und über die Radwege rollen, so unterschiedlich sind die Menschen, die darauf sitzen. Aber wer sind wir Fahrradfahrer eigentlich? KARL erklärt mit einem selbstironischem Blick die prändsten Typinnen und Charaktere, die auf ihren Fahrrädern unseren Alltag beleben.

Wer sind wir?
Foto: LeoPatrizi
1
RossHelen

Retro-Hipster

Wenn irgendwo ein altes Stahl-Bike parkt, dann ist klar, wer da demnächst draufsteigen wird: Eine Junggebliebene mit korrekt zurechtgemachtem Undone-Dutt und runtergerockt lackierten Fingernägeln oder ein Bärtiger in enger Jeans und Stofftasche mit der neuesten Errungenschaft vom Vinyl-Händler. Ein Helm wird garantiert nicht getragen, dafür ein oldschooliger Toploader-Rucksack von einer japanischen Marke (der Fjällräven Kranken garantiert nicht, den trägt mittlerweile jede Latte-Macchiato-Mama …). Platziert wird das angerostete Gefährt gut sichtbar vor der aktuell angesagten Bar. Wichtig zu wissen: So sehr Retro-Hipster auf jedes Accessoir achten, so wenig fahren sie meist wirklich Fahrrad, entsprechend unter Niveau ist ihre Fahrtechnik. Also: Abstand halten.

2
Pekic

Die Romantik-Radlerin

Hollandrad, Holzkorb am Lenker, Blümchenkleid - dieses auf meist pastellfarbenen Rädern rollende Klischee blüht jeden Frühling so sicher wieder auf wie die Maiglöckchen. Grundsätzlich ist die Romantik-Radlerin harmlos, doch ähnlich wie für die Retro-Hipster gilt auch hier: Das Fahrrad wird hauptsächlich als modisches Zubehör eingesetzt, auch das Zeug im voll beladenen Lenkerkorb dient nur dem Style. Schwer ist die Beladung da vorn trotzdem, entsprechend schlecht lässt sich das zu frontlastige Hollandrad lenken – ergo: Zur eigenen Sicherheit immer etwas Abstand halten, oder noch besser schnell in möglichst weitem Bogen überholen.

3
Orbon Alija

Die Cargo-Familien

Die Multitasker unter den Fahrradfahrern sind in aller Regel mit mindestens zwei Kindern im Lastenabteil unterwegs, daneben Einkäufe aus dem Bio-Markt. Das Outfit ist praktisch-funktional, aber modern: Funktionsjacken in derzeit angesagten warmen Erdtönen oder Beeren-Noten. Ein Helm ist bei dieser Spezies umstritten: die einen sagen: "Man will ja gutes Vorbild für die Kleinen geben!" Die anderen sagen: "Mann will die Kleinen ja nicht mit einem helm ihrer Freiheit berauben." So lobenswert die vollumfänglich gut gemeinte Einstellung der Cargo-Biker (Klimaschutz!), so kritisch werden sie in Puncto Abstellplatz (ja, so ein Cargobike braucht halt doch fast so viel Stellfläche wie ein Kleinwagen) und 90-Grad-Kurven (ja, immer wieder überraschend: so ein Cargobike ist länger als man denkt).

4
Justin Paget

Die Freizeit-Profis

Technische Radoutfits aus hautengem Spandex wurden eigentlich für den Profisport entwickelt, um die letzten Sekunden herauszukitzeln, aber man kann mit so einem Outfit natürlich auch durch die Stadt rollen und vor den angesagten Cafes aufcoolen. Ehrlich gesagt muss man das auch erstmal durchziehen, den Mitmenschen seine nicht immer unbedingt vorteilhaften Konturen so offensiv zur Schau zu stellen. Innerhalb der Kategorie „Freizeit-Profi“ gibt es zwei Unterkategorien: Die High-Tech-Fraktion, die im neuesten, teuersten Material der diese Saison angesagten Trend-Marke aufläuft, und die „Das war vor 22 Jahren sehr teuer, das trage ich bis der Stoff komplett durchsichtig ist“-Abteilung.

5
Manhattan001

Die Funktionspragmatiker

Berufspendler, Alltagsradler, Vielfahrer - weil es so praktisch ist, tragen die Viel- und Immerfahrer die Funktionsjacke einfach immer, und die Neon-Regenhaube bleibt auch im Hochsommer auf dem Helm - denn der nächste Herbst kommt schneller, als man denkt. Auf dem Radweg ziehen diese klar zielorientierten Pragmatiker an allen Fahrrädern (und ganz besonders an E-Bikes) vorbei, denn die täglichen 24 Kilometer zur Arbeit (one-way, logo) machen fit. So gesehen sind die Funktionspragmatiker eigentlich kein Problem – wenn man ihnen nicht zufällig in die Quere kommt, denn eins muss klar sein: Vorfahrt hat immer, wer es gerade eiliger hat. Funktionspragmatiker haben es immer eilig!

6
Westend61

Touristen

Ja, sie fahren Touren mit dem E-Bike, seltene Exemplare auch noch mit einem herkömmlichen Fahrrad. Weil es Spaß macht, die Freiheit an der frischen Luft zu genießen und dabei was zu sehen von der Umgebung. Genau da fangen die Schwierigkeiten für alle Mitmenschen an: Die gut gelaunten, niemals allein auftretenden Touristen haben Augen und Ohren für alles, aber ganz sicher nicht für die anderen Verkehrsteilnehmer um sie herum. Sie blockieren die Radwege mit ihrer grundsätzlich unfassbar langsamen Durchschnittsgeschwindigkeit (wie langsam kann man ein E-Bike eigentlich bewegen?!), sie verstopfen die Zugänge zu Biergärten, sie bringen den Handel beim Radshop zum Erliegen, wenn sie Beratung brauchen. Klar: Schön, dass sie sich fürs Fahrrad statt für ihren SUV entschieden haben. Als kleine Warung sollte uns allen aber dienen, dass es mittlerweile auch SUV-Bikes gibt...

7
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Niklas Hager

Tiefergelegt

Liegeradfahrer sind eigentlich gar keine Fahrradfahrer - weil in ihren Augen jedes normale Fahrrad die größte Fehlentwicklung seit Erfindung der Draisine ist. Da muss man sich nur mal ganz kurz die Regeln der Physik (Luftwiederstand) und Ergonomie (wie kann man denn bitte ersnthaft in Erwägung ziehen, auf einem Fahrrad zu sitzen???) vor Augen führen. Rational und wissenschaftlich betrachtet erschließt sich das Fahren im Liegen jedem nur halbwegs logisch denkenden Menschen als die einzig logische Konsequenz. Problem? Viele: Parken (siehe Cargo-Bike), Kurven (siehe Cargo-Bike), Sendungsbewusstsein (siehe Regeln der Physik und Ergonomie).

8
Motofish Images

Die Kurier-Kopisten

Das Bike in alu-matt, ein cognacfarbener Ledersattel und passende Ledergriffe. Puristsicher Style geht vor! Vorbild: Die coolen Messenger in London oder New York - nur dass die in 12-Stunden-Schichten für kleines Geld große Lasten transportieren müssen - und damit das genaue Gegenteil ihrer Kopisten in ihren teuren Outfits angesagter Underground-Labels sind. Die Kurier-Imitate fahren grundsätzlich zu schnell, weil sie noch nicht wissen, dass die Felgenbremse an ihrem Bike sehr schwach ist, oder dass ihr Singlespeed-Bike gar keine Bremse hat. Diese technische Einschränkung ihrer Bikes wirkt wie eine natürliche Auslese und hält die Gruppe der Kurier-Look-a-likes auf konstant niedrigem Niveau.

9
Cavan Images

Jedermann/Frau-Radler

Jeder… was? Ah genau, das sind ja wir. Die Besitzer von 79,1 Millionen Fahrrädern und 7,1 Millionen E-Bikes in Deutschland (laut Statista im Jahr 2020). Wir legen damit 12,6 Prozent aller Wege zurück. Tendenz: Steigend. Und wie legen wir unsere Wege auf dem Fahrrad zurück? Mit Freude am Fahren und mit großer Vielfalt. Mit dem guten Gefühl, die Umwelt zu schonen und was für unsere Gesundheit zu tun, an der Verkehrswende mitzukurbeln und die Städte von Staus, Abgasen und Verkehrslärm zu befreien. Hoffentlich auch immer mit Umsicht und Rücksicht auf alle anderen, die im Alltag um uns herumwuseln. Egal ob E-Bike oder herkömmliches Fahrrad, egal welcher Style und welcher Anspruch: Wir sind viele. Und das ist gut.

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Erscheinungsdatum 19.04.2023