Kommentar zum 9-Euro-Ticket
Kommentar 9-Euro-Ticket: Radfahrer unerwünscht?

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Das 9-Euro-Ticket und das Fahrrad werden vorerst keine Freunde – zumindest, wenn es den Erfahrungen unseres Autors nach geht.

Bicycle Sign On Train Window Against Trees And Sky
Foto: EyeEm

Stell dir vor, es ist der heißeste Tag des Jahres, und du sitzt mit deinem Fahrrad auf einem Bahnsteig mitten im Nirgendwo fest. Die Züge sind grenzenlos überfüllt. Und als du plötzlich Hoffnung schöpfst, dass der dritte vorbeirauschende Zug endlich einen freien Fahrradplatz hat, ertönt aus den Lautsprechern des Bahnhofs die Durchsage, dass die Mitnahme von Fahrrädern aufgrund der vielen Passagiere verboten sei. Genau diese Situation ist mir am vergangenen Wochenende widerfahren. Oder um es mit den Worten von Ex-Fußballer Andreas Brehme zu sagen: "Haste Sch**** am Fuß, haste Sch**** am Fuß" – oder in diesem Fall am Radschuh.

Seit gut einem Monat gibt es das 9-Euro-Ticket nun. Doch an seinem Erfolg scheiden sich die Geister. Denn was zu Beginn als politische Entlastungsidee gefeiert wurde, trifft nun in der Realität auf ein vollkommen überfordertes System. Vollgestopfte Züge und Verspätungen von Bahnen in der ganzen Bundesrepublik gehören inzwischen zur Tagesordnung. Dazu kommen ratlose Gesichter an den Bahnsteigen – insbesondere bei Reisenden, die gerne ihr Fahrrad mit in den Waggon nehmen wollen. Denn bei komplett ausgelasteten Zügen ist kaum noch Platz für die Fahrradmitnahme. Viele Bahnbetreiber gehen inzwischen sogar so weit, dass sie die Zweiräder gar nicht erst erlauben – um "Konflikte bereits im Vorfeld zu vermeiden", wie es heißt.

Es sind nicht die einzigen Geschehnisse, die den Eindruck erwecken, dass die Bahn und das Fahrrad derzeit eine Beziehungskrise erleben. Fahrradtickets per App zu buchen, erweist sich in diesen Tagen als schier unlösbare Aufgabe. Zusätzliche Kapazitäten für Radfahrer in Zeiten des 9-Euro-Tickets stehen gar nicht erst zur Diskussion. Und vor kurzem hat man auch noch die Preise für die Fahrradmitnahme erhöht. Neun Euro kostet ein Fahrradticket nun im Fernverkehr. Zuvor waren es acht Euro (ohne Bahncard) bzw. 5,40 Euro (mit Bahncard 25 oder 50). Aufgrund des "starken Nachfrage-Zuwachses", wie es vonseiten der DB heißt. Einen guten Eindruck macht das alles nicht. Vielmehr bekomme ich das Gefühl, dass Radfahrer der Bahn ein Dorn im Auge sind. Eine Gruppe, die stört. Kurzum: ein Klientel, das unerwünscht ist.

Ich finde das sehr schade. Denn eigentlich sind das Fahrrad und die Bahn doch wie geschaffen füreinander. Mit dem Rad zum Bahnhof, mit dem Zug in die nächste Stadt und dort dann zum Ziel – besser geht es nicht. Auch auf dem Land ist das Fahrrad oftmals die ideale Ergänzung zum öffentlichen Personennahverkehr. Klar – das 9-Euro-Ticket kam überraschend. Und die Erhöhung der Kapazitäten der Züge mag in so kurzer Zeit nicht möglich gewesen sein. Dennoch könnte man zumindest kommunikativ anders agieren, Lösungsvorschläge diskutieren und einen guten Willen zeigen. Hier sind die Bahn und auch die Politik meiner Meinung nach mehr als nur gefordert, ihre Budgets entsprechend zu verteilen. Und zwar im Sinne einer Mobilität, die nachhaltige Verkehrsmittel wie das Fahrrad fördert – und nicht ausgrenzt. Ich habe an jenem heißen Juni-Sonntag mit Temperaturen von über 35 Grad mein Fahrrad jedenfalls enttäuscht vom Bahnsteig geschoben.

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Erscheinungsdatum 19.04.2023