Advanced Emergency Braking System im Einsatz
Wie funtioniert eigentlich ein LKW-Notbremssystem?

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Radfahren im dichten Straßenverkehr ist nicht ungefährlich. Ein LKW-Notbremssystem kann Schlimmstes verhindern: der Blick in das Mercedes Benz-Notbremssystem ABA 5 in Lahr.

Wie funtioniert eigentlich ein LKW-Notbremssystem?
Foto: Jonathan Schule

Horrorvorstellung für jeden Radfahrer: von hinten rollt ein LKW mit einem übermüdeten Fahrer am Steuer heran. Bereits beim Beschreiben der Situation läuft es einem trotz der Sommerhitze eiskalt über den Rücken. In der dargestellten Situation kann in den meisten Fällen nur der Fahrer den LKW zum Stehen bringen, der Radfahrer muss sich auf seinen Schutzengel verlassen. Neue Techniken wie ein Abbiege- oder ein Notbrems-Assistent können brenzlige Situationen für Autofahrer, Radfahrer oder Fußgänger vermeiden, bevor es gefährlich wird.

Gesetzlich vorgeschriebene LKW Sicherheitssysteme

Die EG-Verordnung 661/2009 schreibt bei der Typengenehmigung neuer Nutzfahrzeuge eine LKW-Ausstattung mit modernen Sicherheitssystemen vor:

  • das Elektronische Stabilitätsprogramm ESP
  • das Notbremssystem AEBS
  • das Spurverlassen-Warnsystem LDWS

Soweit, so gut. Das gilt lediglich für das Genehmigungsverfahren neuer Typen. Doch wie schaut’s auf bundesdeutschen Straßen tatsächlich aus? "Die Marktdurchdringung bzgl. ESP und Spurwarner ist inzwischen gegeben, diese Systeme sind heutzutage schon Standard", so Redakteur Johannes Roller vom Magazin Fernfahrer. Bei den Notbremssystemen selbst gibt es noch keinen übergreifenden Standard, da entwickelt jeder Hersteller ein eigenes System. Hier ist das jeweilige Alter der sich im Verkehr befindlichen Nutzfahrzeuge maßgebend, denn die Entwicklung der Assistenzsysteme schreitet diesbezüglich sehr schnell voran.

Mercedes Benz LKW-Notfallbremssystem ABA 5

Ein funktionales Highend-Notbremssystem entwickelte Daimler Benz für seine Nutzfahrzeuge. Das aktuelle ABA 5 (Active Brake Assist 5) hilft nicht nur Auffahrunfälle zu vermeiden, es erkennt auch sensorisch Fahrradfahrer und Fußgänger.

Wenn eine Gefahrensituation durch vorausfahrende Fahrzeuge oder stehende Hindernisse entsteht, läuft folgender Prozess ab:

1. Der Fahrer wird optisch über ein Inboard-Display und akustisch wahrnehmbar mittels Piepton auf die Situation hingewiesen bzw. gewarnt. Nun sollte der Fahrer reagieren und entsprechend ausweichen, abbremsen oder ggf. beides.

Grundsätzlich gilt: die Herrschungshoheit über das Fahrzeug liegt immer erst beim Fahrer, nachrangig bei den Assistenzsystemen. Denn bei einem Fehler im System muss der Fahrzeugführer stets angemessen reagieren können und das Fahrzeug unter Kontrolle haben. Allein aus diesem Grunde lassen sich auch die Assistenzsysteme manuell deaktivieren. So sieht es auch der Gesetzgeber, der die entsprechenden Vorschriften dazu formuliert hat.

2. Reagiert der gewarnte Fahrer trotzdem nicht, leitet der Notbrems-Assistent eine Teilverzögerung ein, um die Geschwindigkeit zu drosseln. Die Warnsignale sind noch aktiv.

3. Befindet sich der Fahrer nach wie vor im Off-Modus und greift immer noch nicht ein, aktiviert das System eine Vollbremsung bis zum Stillstand. Tauchen plötzlich verschiedene Hindernisse zeitgleich auf, und das System müsste eine (etische) Abwägung vornehmen, leitet dieses eine Vollbremsung bis zum Stillstand ein, falls der Fahrer nicht vorhereingreift.

Dass das Mercedes-Benz Active Brake Assist 5 System zuverlässig funktioniert, erklärt uns Mercedes-Testfahrer Klaus-Peter Luckau. "Aber", gibt er auch zu Bedenken, "dass sich die aktiven Assistenz-Systeme ja auch deaktivieren lassen. Was unter Umstände dazu führen kann, dass ggf. der eine oder andere Trucker diese eben schlichtweg ausschalten könne, wenn’s ihn stört. Was aber natürlich keinen Sinn macht."

Für auf der Fahrbahn befindliche Personen verkürzt sich die Reaktionszeit, Stufe 1 und 2 greifen zugleich ein: Der Fahrer wird gewarnt, zeitgleich aktiviert das System eine Teilbremsung und ggf. in Stufe 3 eine Vollbremsung.

Achtsamkeit bleibt oberstes Gebot

Trotzdem wollen wir an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass bei all der Sicherheitstechnik jeder einzelne Radfahrer im Straßenverkehr aufmerksam bleiben und stets den Überblick übers Verkehrsgeschehen behalten sollte. Er hat eben kein ihn schützendes Blechkleid und zieht im Zweifel den Kürzeren. Auch der Brummifahrer muss sich der Situation bewußt sein und verstehen, dass der Radfahrer ungeschützt ist und sich entsprechend sorgsam verhalten. Gemeinsam geht’s eben besser.

Ingolf Pompe
Wenn Trucker und Radfahrer situativ aufmerksam sind - wie sie es ja auch sein sollten - ist ein "Nebeneinander" auf entsprechend ausreichend breiten Fahrbahnen möglich.

STVO Novelle vom November 2021

Mit der Änderung der Straßenverkehrsordnung vom November 2021 wurde auch die Abbiegesicherheit für den Rad- und Fußgängerverkehr erhöht: Demnach dürfen rechtsabbiegende LKW über 3,5 t innerorts nur noch Schrittgeschwindikeit (4-7 km/h) fahren, solange mit Rad- und Fußgängern zu rechnen ist. 70 Euro Bußgeld im Falle eines Verstoßes finden wir zwar homöopathisch, der eine Punkt im Fahreignungsregister in Flensburg dürfte da schon eher Präventivcharakter erzeugen.

LKW und Radfahrer: So verhält man sich richtig!

Überholt ein LKW einen Fahrradfahrer oder E-Biker, sollten beide folgendes beachten: Der Trucker muss laut aktueller Gesetzeslage mindestens mit einem Seitenabstand von 1,5 m am Radfahrer vorbeifahren. Besser mehr, wenn’s die Straßenbreite zulässt. Der LKW erzeugt beim Überholen einen gehörigen Wind, so ist es für den Radfahrer unbedingt empfehlenswert, geradlinig und mit festem Lenkergriff angemessen langsam weiter zu pedalieren und den LKW einfach passieren zu lassen. Auf das selbstverständliche Tragen eines Helmes wollen wir hier nur am Rande hinweisen. Gegenseitige Rücksichtnahme bleibt oberstes Gebot!

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Erscheinungsdatum 19.04.2023