So wird Fahrradbekleidung in Europa produziert
Ein Bekenntnis zur Regionalität

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Fahrradbekleidung wird heute meist in Fernost gefertigt. Doch das muss nicht so sein. Dass eine Produktion in Europa möglich ist, zeigt das Beispiel Löffler.

Ein Bekenntnis zur Regionalität
Foto: Werner Müller-Schell

Das unverkennbare Surren von Nähmaschinen erfüllt die lichtdurchflutete Fabrikhalle in der bulgarischen Kleinstadt Tryavna. Rund 100 Näherinnen sitzen hier, rund drei Autostunden östlich von der Hauptstadt Sofia, an verschiedenen Herstellungslinien nebeneinander und sorgen dafür, dass aus vorgefertigten Stoffteilen Fahrradhosen, Radjacken und andere Produkte werden. Hunderte Male täglich führen sie die gleichen, präzisen Handgriffe aus. Naht für Naht, Stück für Stück. An einer weiteren Station untersuchen drei Arbeiterinnen die Qualität der fertigen Produkte. Auch hier wird akribisch vorgegangen, ehe die Kleider in Kisten gepackt und für den Versand vorbereitet werden. "Wenn wir unser gesamtes Sortiment betrachten, produzieren wir insgesamt rund 50 verschiedene Stoffe. Und nach jedem Verarbeitungsschritt erfolgt eine Qualitätskontrolle", erklärt Otto Leodolter. Er ist Geschäftsführer des österreichischen Bekleidungsherstellers Löffler, einem Spezialisten für Sport- und Outdoorbekleidung. Erst im Oktober 2021 hat die Firme aus Ried im Innkreis das Werk im bulgarischen Tryavna eröffnet, einer Kleinstadt mit rund 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Ganz in Rot strahlt das nagelneue Gebäude, das eine eigentlich bereits fast vergessene Tradition wieder aufleben lässt: die Fertigung von Textilien in Bulgarien und in Europa.

Rund 90 Prozent der gesamten Wertschöpfung von Löffler findet heute in Europa statt – sowohl im Heimatbetrieb in Ried im Innkreis als auch im neuen Werk Tryavna. Hinzu kommen weitere Zulieferer aus den jeweiligen Regionen. Betrachtet man die globale Textilindustrie, gibt es in der Tat nicht viele Firmen, die derart regional verwurzelt sind. Durchschnittlich rund 18.000 Kilometer legt ein Bekleidungsstück laut dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) heute zurück, ehe es in den Geschäften ankommt. Es ist eine Reise, die mehr als nur deutlich ihre Spuren in unserer Umwelt hinterlässt: Schätzungen des Reports "Fashion on Climate" des Beratungsunternehmens McKinsey & Company zufolge verursacht die Textilindustrie 2,1 Milliarden Tonnen CO₂ jährlich. Das entspricht etwa vier Prozent der globalen Emissionen. Hier sind zwar auch die Nutzung und die Entsorgung der jeweiligen Textilien eingerechnet – trotzdem tragen die Produktion und die Lieferwege ihren Teil zu dieser Umweltbilanz bei.

Werner Müller-Schell

Die Textilbranche rückt aus diesem Grund besonders in den Fokus, wenn es um die Nachhaltigkeitsbemühungen in den globalen Lieferketten geht. Das gilt auch für die Hersteller von Fahrradbekleidung. Betrachtet man die verschiedenen Radbekleidungsmarken, zeigt sich nämlich sehr schnell, dass ein Mix internationaler Produktionsstandorte auch hier weit verbreitet ist. Insbesondere Asien hat sich in den letzten Jahrzehnten zum Hotspot für Sporttextilien entwickelt. Allein in Taiwan werden laut Angaben der Taiwan Association of Machinery Industry (TAMI) 70 Prozent der weltweiten Kapazitäten in Sachen Funktionstextilien verarbeitet. Weitere große Produktionsstandorte sind darüber hinaus China, Vietnam und Bangladesch.

Ein Bekenntnis zu Europa

Noch vor einigen Jahrzehnten war Tryavna eines der Zentren der bulgarischen Textilindustrie. Einst waren hier rund 3.000 Arbeiter in einer großen Textilfabrik beschäftigt, erzählt Angel Leonov, Werksleiter der bulgarischen Löffler-Niederlassung. Doch im Laufe der immer schneller fortschreitenden Globalisierung ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich das verändert. Aus Kosten- und Kapazitätsgründen verlagerte sich die ehemals in Europa starke Textilindustrie seitdem immer mehr in Richtung Schwellen- und Entwicklungsländer verlagert – und der Druck auf die Fabrik wurde zu groß und sie musste schließen. Wie sich diese Entwicklung global niederschlägt, zeigt ein Blick auf den heutigen Textilmarkt: So stammt heute nicht nur circa 90 Prozent der in Deutschland und Österreich gekauften Bekleidung aus Importen, sondern auch das Know-how für die Fertigung von Textilien ist aufgrund der verloren gegangenen Standorte hierzulande kaum mehr vorhanden. Nicht umsonst gilt China derzeit nicht nur als Produktionsweltmeister, sondern auch in Sachen Technologien – etwa im Bereich Bonding-Techniken – als marktführend. Eine der Konsequenzen dieser Entwicklung sind die eingangs angesprochenen, langen Lieferwege – und ein nicht unerheblicher ökologischer Fußabdruck.

Werner Müller-Schell

"Eine Verlagerung nach Fernost war für uns trotzdem nie ein Thema. Das ist schon seit der Firmengründung in unserer Philosophie verankert. Regionale Produktion und Wertschöpfung sind ein hohes Gut, welches wir auch weiterhin bewahren und behutsam weiterentwickeln wollen", berichtet Geschäftsführer Otto Leodolter, während er durch die Hallen in Tryavna führt. Löffler hat hier vor Ort viel investiert: Während andere Fabrikgebäude im Industriegebiet der Kleinstadt mit ihren kaputten Fenstern und bröckeligen Mauern von außen nur noch dunkel an die hier ehemals florierende Textilbranche erinnern, wurde das Löffler-Werk nach modernsten Standards errichtet. Gute Klimaanlagen für den heißen bulgarischen Sommer gibt es hier genauso wie eine große Cafeteria für die Angestellten. In der Mittagspause sitzt man gemeinsam auf Bierbänken vor dem Werk. Leodolter selbst kommt einmal im Monat hierher, um nach dem Rechten zu sehen – und um sich mit Leonov, mit dem er seit vielen Jahren ein freundschaftliches Verhältnis pflegt, auszutauschen. Trotz dieser Initiativen sei es schwer, berichtet er, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. "Weil es in Europa nur noch wenige in diesem Bereich gibt. Sowohl in Ried im Innkreis als auch in Tryavna", sagt der Löffler-Geschäftsführer, der noch weitere Herausforderungen bei der lokalen Produktion in Europa nennt: "Das Sourcing von Rohmaterialien wird zum Teil komplexer, da wir den Beschaffungsweg so kurz wie möglich halten wollen. Und höhere Löhne sowie strenge Gesetzes- und Umweltauflagen erhöhen die Kosten."

Fehlende Infrastruktur und fehlendes Know-how für die Textilfertigung in Europa – es ist kein Geheimnis, dass für viele Bekleidungsfirmen die in Asien deutlich niedrigeren Produktionskosten, wie sie Leodolter anspricht, ein drittes Argument für eine Produktion in Fernost sind. Ließe Löffler beispielsweise eine Kapuzenjacke, für die bei der Produktion rund 120 Minuten Arbeitszeit anfallen, in Bangladesch fertigen – die Herstellungskosten würden in etwa bei der Hälfte liegen. Gerade der Anteil der Lohnkosten an den gesamten Herstellungskosten in einer seien dabei ein entscheidender Wettbewerbsfaktor, sagt Leodolter, während des Rundgangs durch die Nähanlage.

Werner Müller-Schell

Faire Löhne im Fokus

Wie das in der Praxis aussieht, zeigt ein Blick auf die Zahlen: So kostet eine Lohnminute in Bangladesch umgerechnet nur einen Eurocent, während sie in Österreich bei circa 50 Cent liegt. In Tryavna sind es knapp 20 Cent. Dennoch lege man Wert auf faire Löhne, erklären die Löffler-Verantwortlichen während der Werksbesichtigung. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 48 Prozent des EU-Durchschnitts ist der Balkanstaat laut Eurostat wohlgemerkt das ärmste Land der Europäischen Union. Ein Mitarbeiter bei Löffler in Bulgarien verdient 522,50 Euro brutto (1.023 Leva, die lokale Landeswährung), dazu komme noch ein Weihnachtsbonus, der in etwa der Höhe eines 13. Monatsgehalts entspricht. Im Durchschnitt sind das 26,7 Prozent mehr, als das mittlere Einkommen eines bulgarischen Haushalts beträgt. Zum Vergleich: Der gesetzliche Mindestlohn beträgt in Bulgarien aktuell 710 Leva (362 Euro). In Zukunft wolle man die bulgarischen Angestellten deshalb auch am Unternehmensgewinn beteiligen und einen Pensionsfonds auflegen – so, wie man es bereits in Österreich macht. Hier fehlen allerdings noch die gesetzlichen Voraussetzungen.

Für Leodolter und sein Team ist es ein Bekenntnis zum Standort und seinen Mitarbeitenden, das sich auszahlt. So beweise man, erklärt er, dass man verantwortungsvolle und nachhaltige Produktion auch wirklich lebe – und das komme bei den Kundinnen und Kunden gut an. "Es werden bewusst nachhaltige Kaufentscheidungen getroffen. Marken, die verantwortungsvolle Werte leben und dabei authentisch sind, stehen hoch im Kurs", so der Löffler-Geschäftsführer. Dass das keine leeren Worthülsen sind, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Seit 1982 hat Löffler durchgehend Gewinne erwirtschaftet. Im Jahr 2019/2020 betrug der Umsatz 27 Millionen Euro, in der Saison 2021/2022 liegt er bereits bei 33,5 Millionen Euro.

In Zukunft wolle man die Investitionen in Bulgarien sogar noch intensivieren, erklärt Leodolter zum Abschluss des Werksbesuches. So soll beispielsweise eine Fotovoltaik-Anlage installiert werden. Der Betrieb in Tryavna soll zudem auf 150 Näherinnen und Näher anwachsen, um die hohe Nachfrage nach Löffler-Produkten zu decken. Außerdem überlegt man sogar, einen weiteren Standort in Bulgarien zu eröffnen, schließlich gebe es in Tryavna trotz verhältnismäßig attraktiver Arbeitsbedingungen nur eine begrenzte Anzahl von Arbeitskräften. Für Löffler sei das der einzig gangbare Weg, so Leodolter. "Wir sind eine österreichische Firma, die in Europa für Europäer produziert. Und das wollen wir auch in Zukunft beibehalten."

Werner Müller-Schell

10 Bekleidungsmarken, die in Europa produzieren

Durchstöbert man die Sortimente, entdeckt man derzeit immer mehr Hersteller im Bereich Fahrradbekleidung, die sich um eine Optimierung ihrer Lieferketten bemühen. Wir haben zehn Marken herausgesucht, die entsprechende Initiativen zeigen:

1

Löffler

Die Österreicher produzieren ihre komplette Kollektion in Österreich und Bulgarien - so viel Verbundenheit zur Herkunft einer Marke ist mittlerweile eine Seltenheit, um so mehr muss man den Hut vor dieser Treue zum heimischen Produktionsstandort ziehen. Und vielleicht mal Teile wie die WPM Hooded Jacket (219 Euro) ausprobieren.

2

Buff

Die praktischen Schlauchschals kennt jeder, was nicht jeder weiß: Zumindest teilweise werden die Prudukte von Buff in Europa gefertigt. Wie zum Beispiel der Coolnet UV (18 Euro). Wer auf der Buff-Homepage im Suchfenster "Made in Europe" eingibt, findet alle Produkte, die das italienische Unternehmen in Europa produziert.

3

Gonso

Das Unternehmen stammt von der Schwäbischen Alb, wo früher zahlreiche Textilunternehmen ansässig waren und produziert haben. Diese Zeiten sind auch bei Gonso vorbei, aber immerhin 60 Prozent der aktuellen Kollektion wird in der Türkei gefertigt. Wie beispielsweise die wetterfeste Sura Light Jacke (99 Euro).

4

Houdini

96 Prozent der aktuellen Kollektion von Houdini werden in Europa gefertigt. Auf der Homepage listet die Marke aus Schweden zudem auf, aus welchen Ländern die verwendeten Stoffe und Materialien stammen - hier stammen aktuell 25 Prozent aus europäischer Produktion. Im Sortiment sind viele alltagstauglcihe Produkte, die auch auf dem Fahrrad bestens funktionieren - wie die Power Jacke (199 Euro)

5

Icebreaker

Die Neuseeländer listen 19 Fertigungsstandorte in Europ auf - von 65 weltweit. Um herauszufinden, welche Produkte aus europäischer Produktion stammen, hilft allerdings nur der Blick ins Etikett weiter. Zu den Produkten "Made in Europe" gehört das Motion Seamless Tanktop (75 Euro).

6

Isadore

Immerhin 59 Prozent der aktuellen Kollektion lässt die noch recht junge Marke Isadore in der Slowakei produzieren, unter anderem das stadttaugliche Urban Light Shirt (50 Euro).

7

Maloja

Die stylishen Bayern produzieren 70 Prozent ihrer aktuellen Kollektion in Europa, große Teile davon in einer eigenen Produktionsstätte in Bulgarien. Schade, dass es auf der Homepage keinen Wegweiser gibt, welche Produkte das betrifft - nur das Etikett verrät den Produktionsort. Wir können verraten: Das funktionelle Top FassaM. (124 Ruro) gehört dazu.

8

Odlo

Die schweizer Marke mit norwegischen Wurzeln fertigt 75 Prozent der Kollektion in Europa. Leider gibt es keine genaueren Angaben, welche Produkte dazu gehören. Nur das Etikett von Teilen wie der Berra SL Jacke (109 Euro) verrät, dass sie aus Europa stammt.

9

Santini

Santini hält die große Tradition italienischer Modeproduktion hoch - alle Produkte werden in Italien hergestellt. Respekt, dass das Familienunternehmen das durchziehen konnte. Die Kollektion enthält neben sehr sportiven Teilen auch alltagstaugliches wie das Gravel delta Shirt (69 Euro).

10

Vaude

Seit langem hat sie die Marke vom Bodensee der Nachhaltigkeit verschrieben - dazu gehört natürlich auch ein möglichst hoher Produktionsanteil in Europa. Neben der Produktion von Rucksäcken und Taschen in Deutschland stammen immer mehr Teile, wie das Oberteil Altiplano (74 Euro), aus europäischer Fertigung. Laut Nachhaltigkeitsbericht von Vaude stammen mittlerweile knapp 20 Prozent der gesamten Produktion aus Europa.

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Erscheinungsdatum 19.04.2023